Schuld & Scham... die ewig lauernden Untiere

Das Schuldgefühl ist eine soziale Emotion, welche einer Fehlreaktion folgt. Körperliche Reaktionen (Erröten, Schwitzen, depressive Verstimmung, Fieber oder Magenverstimmung) sind vergleichbar mit denen der Scham oder Angst. Schuld und Scham können leicht verwechselt werden. Während Schuld durch eine negative Bewertung eines Verhaltens erzeugt wird („ich habe etwas Falsches getan“), wird Scham durch eine negative Bewertung des globalen Selbsts erzeugt („ich bin ein schlechter Mensch“).
Scham ist ein Gefühl der Verlegenheit oder Bloßstellung, welches durch das Bewusstsein, sozialen Erwartungen oder Normen nicht entsprochen zu haben, auftreten kannScham tritt zum Beispiel bei empfundener Entblößung oder einem Ehr- oder Achtungsverlust im sozialen Umfeld auf.
(Wikipedia: Schuldgefühl / Scham)


Soviel zur "offiziellen" Definition...

Schuld und Scham spielen in der Psychologie eine große Rolle, hängen diese Emotionen doch eng mit mangelndem Selbstwert und vermindertem Selbstvertrauen zusammen. Wahrscheinlich jeder Betroffene einer psychischen Erkrankung empfindet diese Emotionen massiv, ob bewusst oder unbewusst. Sie haben großen Einfluss auf die Steuerung des Verhaltens.

Mich begleiten diese Gefühle schon seit frühester Kindheit. Vernachlässigung, Missachtung, Mobbing, Verhöhnung und Bloßstellung von Seiten wichtiger Bezugspersonen, hinterließen tiefe Narben. Ich war das schwärzeste unter den schwarzen Schafen. Mir wurde die Schuld gegeben, direkt oder indirekt, sowohl von diesen Personen, als auch von mir, denn ich glaubte denen. Ich sagte früher oft, aber auch heute noch "Ich bin schuld. Das steht schon in meiner Geburtsurkunde!". Ich ahnte damals nicht, wie richtig ich lag. Der Überzeugung folgend, ich sei an allem Schuld und bekomme sowieso nichts auf die Reihe, baute ich nie Selbstvertrauen auf.
Aufgrund der eingeimpften Schuldgefühle, aber auch aufgrund der Verhöhnung und Bloßstellung, des mir aufgezwungenen Erscheinungsbildes, dem Missbrauch an mir und dem mangelnden Selbstvertrauen, schämte ich mich zutiefst. Mein Selbstwert sank bereits in meiner Kindheit rapide, bis er irgendwann ganz verschwand. Ich war ein Nichts - ICH war weg...

Mein Leben wurde und wird von Scham- und Schuldgefühlen, falsch verstandenem Verantwortungsgefühl, von Verlust- und Versagensangst bestimmt. Ich tat vieles, weil ich dachte, ich muss es tun, es wird von mir erwartet. Nur dann war ich annähernd "wertvoll". Entscheidungen treffen, aus eigenen Bedürfnissen heraus, kannte und konnte ich nicht.

Als dann im Jahre 2003, mit dreiunddreißig Jahren, der erste Psychiatrie-Aufenthalt nötig wurde, und im Anschluss die erste Therapie, wegen Drogen- und Alkoholmissbrauch, folgte, tat ich das erste Mal etwas aus eigenem Antrieb. Ich tat es für mich, weil ich so nicht mehr weiterleben wollte! Und es fühlte sich gut an...
Ein langer, steiniger Weg begann. Aber mein Wunsch war geweckt. Natürlich gab es viele Rückschritte, ich konnte ja nicht von Jetzt auf Gleich Selbstvertrauen und Selbstwert aufbauen. Immer noch war ich von Fremdeinflüssen und Fremdwahrnehmungen abhängig, definierte ich mich doch darüber.

Jede Therapie, ambulant und stationär, jeder Psychiatrie-Aufenthalt brachte mich MIR ein Stückchen näher. Ich lernte, MICH wertzuschätzen, indem ich meine Talente bewusst beachtete und die Ergebnisse betrachtete, welche ICH erreicht habe.
Mir wurde bewusst, dass die vielen kleinen Dinge auch einen hohen Wert haben, und das "große Ganze" ausmachen. Also lenke ich mein Augenmerk darauf.
Ich steigere meinen Selbstwert, in dem ich die kleinen positiven Momente bewusst und achtsam wahrnehme, sie sammle, wie ein Puzzle, Stück für Stück, und zu einem Gesamtbild zusammenfüge.
In dem ich meine Talente und meine Neigungen nutze, meine Hilfsbereitschaft, meine Toleranz, mein technisches Verständnis, mein Wissen, steigere ich auch mein Selbstvertrauen. Ich erhalte Feedback, nehme es bewusst und achtsam an und betrachte, was ich erreicht habe. Auch hier sind es eher die kleinen Erfolge, die das Ganze bilden. Ich  zwinge mich, Misserfolge eher als Erfahrungen und Lehrbeispiele zu betrachten, mit Humor und Gelassenheit. Ich vertraue mir mehr und mehr.

2013 lernte ich, während eines Psychiatrie-Aufenthalt, meine jetzige Ehefrau kennen. Sie nimmt mich, wie ich bin, will mich nicht verändern, und unterstützt mich in meinen Bemühungen. Endlich eine Partnerin, welche nicht an mir rumdoktort, mich nicht in eine Form pressen will, meine Meinung, meine Kenntnisse und Bemühungen wertschätzt - MICH liebt, weil ICH bin...

Schuld- und Schamgefühle werden mich immer begleiten, es sind ja auch wichtige soziale Emotionen. Oft werde ich noch von ihnen überrannt und sie nehmen starken Einfluss auf mein Leben, bestimmen mein Handeln, meine Worte, meine Entscheidungen. Dafür sind sie einfach zu lange ein elementarer Bestandteil von mir.
Die Krankheiten und daraus resultierenden Einschränkungen rufen extreme Schuldgefühle hervor. Ich gebe mir nicht die Schuld an den Ursachen, aber an den Auswirkungen, da sich mein Umfeld mir anpassen muss. Ich schäme mich, auf Hilfe angewiesen zu sein, nicht mehr arbeiten oder die einfachsten Erledigungen tätigen zu können.
Ich fühle mich schuldig, zum Beispiel im Falle einer Meinungsverschiedenheit, die Harmonie gestört zu haben, eventuell jemanden verletzt zu haben. Oder, im Falle eines Missgeschicks oder Misserfolgs, versagt zu haben, nutzlos zu sein. Ich lenke dann ein, trete zurück, leide unter Selbstzweifeln und unter extremer Angst vor dem Verlassenwerden. Ich schäme mich für mein Verhalten und bestrafe mich mit Selbstvorwürfen, Erniedrigungen und Entzug von Freude, Genuss, manchmal sogar von Nahrung und wichtigen Bedürfnissen.

Nach und nach, je nach Befinden, gelingt es mir aber immer besser, die aufkommenden Scham- und Schuldgefühle zu erkennen und zu verarbeiten. Ich hinterfrage sie, betrachte die Gründe genau, belehre und korrigiere mich selbst. Die Steigerung des Selbstwerts und Selbstvertrauens zeigt langsam Wirkung. ICH gebe nicht auf...

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