Ein "Spaziergang"... und was es mit mir macht

Gestern war es wieder mal soweit...
Nach einem schönen Wochenende mit Familie, bin ich, plötzlich und scheinbar ohne erfindlichen Grund, vom Sofa aus verschwunden...
Wie immer, habe ich keine Ahnung, wann ich los gegangen bin, wie lange ich weg gewesen bin und wo ich war...
Als ich zu mir kam, war es dunkel... Es dauerte eine Zeit, bis ich mich orientieren konnte, bis ich erfassen konnte, wer, wo und wann ich war...

Das Wochenende war entspannend und sehr schön. Wir hatten unsere Enkelin (1 Jahr) zu Besuch und waren am Samstag mit Kids und Enkelin im Wildpark. Sonntag haben wir uns gleiten lassen. Zum frühen Nachmittag wurde die Kleine abgeholt und mein Stiefsohn kam, um mit seiner Mutter einen Muttertagsspaziergang zu tätigen.
Nichts deutete auf Stress oder Anspannung hin, ich war entspannt, gelassen und ruhig...
Wieder einmal zeigt es mir, dass meine Definition von Stress eine andere ist, als mein Gehirn empfindet. Nur die Masse an ungefilterten Reizen, egal ob angenehm oder unangenehm, aktiv oder passiv, führt zu einer Reizüberflutung - Gehirn auf Stand-By...

So ein dissoziativer "Spaziergang" dauert in der Regel zehn bis dreißig Stunden - gestern glücklicherweise "nur" acht Stunden - und ich gehe scheinbar tatsächlich kontinuierlich spazieren. Die Auswirkungen auf meinen Körper sind sehr schmerzhaft und andauernd. Der gesamte Gehapparat, Rücken, Schultern und Nacken sind betroffen. Ich komme danach kaum eine Treppe rauf oder runter. Jeder Schritt, jede Bewegung schmerzt, begleitet von dauerhaften Kopfschmerzen - und das trotz vermindertem Schmerzempfindens...

Aufgrund der schon in meiner Kindheit antrainierten Eigenschaft, eher auf andere zu achten, statt auf mich selbst, werde ich von großen Schuldgefühlen geplagt und schäme mich. Schlimmer als der Schmerz und das eigene Empfinden, die Niedergeschlagenheit und Ohnmacht, ist das schlechte Gewissen. Ich habe das unbändige Gefühl, etwas wieder gut machen zu müssen. Ich kann dann einfach nicht ruhig sitzen bleiben und meine "Wunden lecken". Ich fühle mich getrieben - stärker als sowieso schon. Ich ignoriere die Warnsignale meines Körpers, den Schrei nach Ruhe und Genesung. Liebevolle Hilfsangebote und Handreichungen meiner Frau kann ich nicht annehmen, da ich ja selbst Schuld bin an meiner Misere - sagt mir das schlechte Gewissen.
Also habe ich heute schon die Küche gemacht, war mit zum Einkaufen, hab den ein oder anderen Gang durch die Wohnung gemacht, um nicht fragen zu müssen oder um Hilfe zu bitten.

Mir fällt es auch schwer, am Tag nach einem "Spaziergang", einen klaren Gedanken zu fassen und mein Zeitgefühl ist komplett durcheinander - schließlich fehlen mir diverse Stunden, denn für mich sind nur ein paar Sekunden vergangen. Trotzdem beteilige ich mich an Planungen und beschäftige mich mit komplizierten Abläufen - weil ich es "muss".

Der zweite und dritte Tag, nach dem Spaziergang, sind schmerztechnisch die schlimmsten. Zur Ruhe gekommen reagiert der Körper heftiger auf die Überlastung, aber auch die Muskeln melden sich nun - Muskelkater. Im Ausblick auf die völlige Bewegungsunfähigkeit, erlaube ich mir dann auch ein paar eigene Empfindungen - Niedergeschlagenheit, Selbstzweifel, Scham, Verzweiflung, Ärger...

An Schlaf ist nicht zu denken... Wenn mich an "normalen" Tagen schon die Fülle an Gedanken und Eindrücken wach halten, werde ich nun zusätzlich von Schmerzen am Schlafen gehindert. Ich schlafe nur sehr selten eine Nacht durch, werde alle sechzig bis hundertzwanzig Minuten wach, an Post-Dissoziations-Tagen sogar alle  dreißig bis sechzig Minuten. Der Schlafmangel raubt mir die Konzentrationsfähigkeit, wodurch alle Reize ungehindert auf mein Gehirn einwirken, welche ich sonst wenigstens ein wenig kontrolliert eindämmen kann - der Kreislauf beginnt... Die Abstände zwischen den "Spaziergängen" werden kürzer... Genesung ausgeschlossen...

So sitze ich hier in Erwartung einer erneuten Dissoziation... aber ich gebe nicht auf, tüftel und erarbeite neue Strategien zum präventiven Umgang...

McG

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